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  Unabhängige Kunsträume im Dialog        
  Ausstellung – Veranstaltungen – Vermittlung
 

 

   
           
 

Masa Project

www.masabout.blogspot.com
Adresse: -
Mitglieder: Önder Özengi*, Vahit Tuna*, Sinem Kurultay*
*: bei der Eröffnung anwesend

Masa* Project verwendet einen speziell angefertigten Tisch als Ausstellungsraum und definiert sich
selbst als: "Als Erweiterung, die jegliche für das System geschaffene Kunst ausschließt, als Umfeld, das für Künstler Freiräume ohne Grenzen schaffen möchte, heißt MASA jeden willkommen!"

* Masa: Tisch

Über Masa Project

Önder Özengi: Vahit, mit der Ausstellung von Erinç Eymen 2006 wurde Masa offiziell zum Bestandteil der Kunstszene. Wie entstand die Idee dazu und mit wem hast du kooperiert?

Vahit Tuna: Persönlich Initiative zu ergreifen hatte für Masa absolute Priorität. Es begann damit, dass die Ebene „Ich-Büro-Kunstproduktion“ sich mit der von „Teilhabe-Neue Räume-Unabhängigkeit“ überschnitt. Später mündete alles in einen natürlichen Entwicklungsprozess. Man kann das auch als Versuch sehen, den homogenen KunstbBegriff aufzubrechen und ihn aus seinem Elfenbeinturm zu befreien. Eine Aktion, die Risse in der Mauer bewusst in Kauf nimmt, um sie zu öffnen, damit neue unabhängige Räume entstehen können. Es ist ein kreativer Prozess, der das Ziel hat, die ständig reproduzierte Annahme, Kunst sei Teil eines großen Systems, zu unterlaufen, damit Möglichkeiten für neue Herangehensweisen und Präsentationen entstehen, die offen sind für Experimente und Allegorien. Es ist auch eine Initiative, die das Bedürfnis fördert und befriedigt, zweckfreie Kunst zu produzieren. Masa entstand aus der Idee einen Raum zu schaffen, der stets unabhängig bleiben und nicht in das System integriert werden soll.

ÖÖ: Masa realisierte bislang 16 Ausstellungen. Lass uns über Projekte und Vorschläge reden, die noch nicht umgesetzt wurden. Ich denke da an Sener Özmens Vorschlag „Lass uns Raki trinken“. Welche andere Projektideen gab es denn, die nicht realisiert werden konnten?

VT: Alle ernsthaften Projekte, die Masa bereichern wollten, wurden realisiert und ausgestellt.Viele Ideen wurden auch verworfen. Die Ideen, mit denen Masas Intention aufgegriffen wurde, gehören natürlich den Künstlern, die die Ausstellung machen; wir unterstützen sie dabei. Es entstehen manchmal aber Probleme, wenn die Künstler in den öffentlichen Raum eingreifen wollen.

ÖÖ: Im April 2008 hast du mich auch in Masa aufgenommen. Was war der Grund dafür? Gab es einen Engpass oder war ein Befreiungsschlag notwendig?

VT: Dass Masa von mir konzipiert und realisiert wurde, bedeutet nicht, dass ich der Besitzer bin. Wie es bei anderen Ausstellungen auch der Fall ist, entwickeln sich die Ausstellungen von Masa in einem natürlichen Prozess. Es ist funktionaler, wenn sich dieser Prozess organisch weiter entwickelt. Wir brauchen diese Erweiterung auch, um uns die Praktiken des öffentlichen Raumes anzueignen, damit wir ihn vergrößern können. Denn auch der öffentliche Raum ist eine organische Struktur. Es ist offensichtlich, dass wir in einem Engpass stecken. Aber das ist kein Engpass im herkömmlichen Sinne, zum Beispiel wie in den 80ern als der Markt auf das Überangebot nicht mehr reagierte. Vielmehr handelt es sich um einen Engpass zwischen Staat, öffentlichem Raum und Kunstrezipienten. Also weniger ein Engpass, als eine reale Situation.

ÖÖ: Lass uns über die nächsten Projekte reden. Das Masa-Buch, Masa in Berlin und auch in Spanien sind als Projekte geplant. Was bedeuten sie? Abgesehen davon, dass sie Exportgüter eines unabhängigen Kunstraumes sind.

VT: Wir haben versucht jede Ausstellung zu Dokumentieren. Wir wollten die Gespräche und die Rezeption über die ausgestellten Arbeiten in einem Buch veröffentlichen. Ich hoffe, dass wir das realisieren können, sobald die Finanzierung gesichert ist. Es ist sehr aufregend, dass Masa auch an anderen Orten produziert. Arbeiten in kleinen Maßstäben wecken auch Interesse. Neben den riesigen Institutionen werden sich diese Arbeiten in einem bescheidenen Toleranzraum mit größerer Funktionalität vermehren.

VT: Was fehlt der zeitgenössischen Kunst heute, Önder?

ÖÖ: Meiner Meinung nach fehlt es an Kritik. Denn sie ermutigt einerseits dazu, dass sich die vorhandene Energie unkontrolliert entlädt, was zur Erhöhung der Produktion beiträgt. Andererseits aber führt sie dazu, dass über Inhalte nicht gesprochen wird und die vorhandenen oder möglichen Beziehungen von Begriffen und Ideen zu anderen Disziplinen von vornherein auf wackligen Beinen stehen.

VT: Wie zeitgemäß ist es deiner Meinung nach, auf lokaler Ebene Initiative zu ergreifen?

ÖÖ: Ich denke, die Betonung auf das Lokale hat ihre Bedeutung verloren, das Hier und Jetzt zu begreifen. Das Pendeln zwischen dem Lokalen und Globalen und das unklare Verhältnis zwischen Innen und Außen stellt die Stärke der Initiative in Frage. Wenn man Masa als eine solche Initiative begreift, dann ist es unklar, ob sie lokal agiert oder auf einer komplexeren Ebene. Masa bewegt sich in den Räumen in Istanbul, aber ihre Künstler und die Fragen, mit denen diese sich auseinandersetzen, beschränken sich nicht nur auf das Lokale.


Masa, Juni 2009

 

Ausstellungsbeitrag

POLIS - Isabel Schmiga*
*: bei der Eröffnung anwesend

POLIS Isabel Schmiga ist von verborgen eingeschriebenen Bedeutungspotentialen eines Gegenstands oder einer bestehenden Idee fasziniert und ganz besonders davon, ihren vorgeblich eindeutigen Zustand zu hinterfragen, sei dies nun buchstäblich oder figurativ. In vielen ihrer Arbeiten werden Alltagsgegenstände wie Krawatten, Blätter, Murmeln, Gabeln oder auch gedruckte Bilder und Diagramme in neue, konzeptionell komplexere Versionen ihrer selbst verwandelt. In der Arbeit POLIS aber ist ihr Ausgangspunkt ein ganz spezifisches Emblem - es handelt sich dabei um das Abzeichen der türkischen Polizei, das eine Komposition von Symbolen ist, die an sich schon ein gesellschaftlich und politisch aufgeladenes Bild ist.

Schmigas Version dieses Abzeichens in POLIS ist ein außerordentlich unheimlicher Vorschlag. Durch die Dopplung zweier Abzeichen, bei dem jeweils das obere durch Einschnitte ins Papier auf ein unversehrtes, ursprüngliches Zeichen montiert ist, kreiert die Künstlerin eine gruselige schädelartige Form des vorgeblich Schutz versprechenden eigentlichen Abzeichens: Der Umriss des Schädels wird bereits durch die symmetrische von oben betrachtete Polizeikappe vorgegeben. Sie bildet die Grundform des Abzeichens; inmitten des Doppeladlers platziert die Künstlerin den Mund und lässt den Doppeladler so zum Schnauzbart werden; der Halbmond und das Sternenmotiv, der den Knopf der von oben betrachteten Polizeikappe bildet, wird zu einem bedrohlichen dritten Auge. Wie in Hans Holbeins Die Gesandten (1533) ist die geschichtete Darstellung in einer verzerrten Perspektive gestaltet und wird nur deutlich erkennbar, wenn sie aus einem bestimmten Winkel betrachtet wird. Wenn die Einschnitte klar werden und ihre Tiefen leichte Schatten werfen, erscheint der BetrachterIn ein perfekter Schädel. In diesem getarnten Zustand vereint das Abzeichen - so wie die Polizei selbst, die es schmückt - in einer Aura Schutz sowie auch die Andeutung von Beängstigung.

Dieses autoritäre Ornament ließ Schmiga nicht mehr los, nachdem sie mehrere Monate gegenüber einer Polizeiwache in Istanbul gelebt hatte. Für sie war der Schädel schon immer in der Form und durch Details des Abzeichens sichtbar, und ihren Doppelscheerenschnitt hat sie in Reaktion auf das Abzeichen hin gefertigt, das sie überall um sich herum sah. Dieses Abzeichen ist in der Türkei allgegenwärtig, auf Polizeiuniformen ebenso wie auf Autos, Bussen und Wachen der Polizei; so liegt sein Erscheinen in Schmigas Arbeit mit daran, dass sie ihm täglich begegnet ist. Ihr stand dieses Abzeichen damit, wie jeder andere Gegenstand auch, zur Verfügung, um durch ihre persönliche Reflektion verwandelt zu werden.

Während also Schmigas Arbeit POLIS sich natürlich auf eine auch in den Medien angesprochene Sorge über die Präsenz, Gesinnung und den gelegentlichen Einsatz von unangemessener Gewalt der Polizei in der Türkei bezieht, wie auch auf eine generelle Atmosphäre des Widerspruchs und Unbehagens, die durch Spannungen aufgrund von unterschiedlichen Gruppenmentalitäten und Nationalismus hervorgerufen wird, ist es auch eine einfache Reaktion, eine visuelle Verschiebung, die durch die Form und das Design des Abzeichens hervorgerufen werden.

Diese Verschiebung integriert andere Zeichen und Symbole deutlicher in Schmigas Interpretation dieses Emblems. Indem sie die Mundöffnung des Schädels in eine Linie mit dem Doppeladlermotiv bringt, reproduziert sie visuell ein anderes Anzeichen für Nationalismus, nämlich die männliche Vorliebe für Schnurrbärte. Das dritte Auge wird durch die türkische Flagge gebildet, das auf die starke Präsenz der staatlichen Obrigkeit verweist, aber gleichzeitig ist es auch eine Referenz an den Islam und die Herrschaft des früheren Osmanischen Reiches; eine Kombination von Assoziationen, die als das Auge des Wissens gelesen werden können, eine Kontrolle des Willens, oder ein Glaubenssystem - alles Fragen, die für die gegenwärtige politische Situation in der Türkei höchst relevant sind.

Wenn die Installation ausgestellt wird, besteht POLIS aus einer sich wiederholenden Serie von photographischen Reliefs, die eng aneinandergehängt die Länge einer ganzen Wand füllen. Nie werden weniger als fünf der gerahmten Bilder präsentiert, eine Anspielung auf die Gruppenpräsenz der Polizei in Istanbul, besonders im zentralen Vergnügungsviertel Istiklal Caddesi. Hier findet man die Polizei fast immer in Gruppen von mindestens drei Personen, meist aber sind es fünf oder mehr. Während öffentlicher Demonstrationen oder angekündigter Events, dann, wenn die Polizei erwartet, gebraucht zu werden, gibt es oft sehr viel mehr Polizisten als Menschen, die sie angeblich beschützen, aber tatsächlich kontrollieren sollen.

In Schmigas Präsentation hängen die Abzeichen in einer leicht ungeraden Linie, ein Fingerzeig auf die geringe Individualität, die jedem Mitglied der Formation zugestanden wird, aber zugleich auch auf die Anspannung, die in einer solchen Gruppe bei Erwartung von Reibungen deutlich spürbar wird. Wenn man das Abzeichen hier nun auch als Schädel in einer solchen Häufung und Machtrepräsentation sieht, assoziiert man sogleich auch die Gasmasken, die oft im Voraus bei potentiellem oder auch tatsächlichem Einsatz von Tränengas von der Polizei getragen werden - eine Praxis übrigens, die im aktuellen Klima der Stadt nicht unüblich ist.

Auf diese Weise schafft Schmigas POLIS aus verschiedenen Beweggründen und auf diversen inhaltlichen Ebenen ein Deja-vu-Gefühl für alle diejenigen, die von diesem Polizeiabzeichen alltäglich umgeben sind. So wie der Schädel für Isabel Schmiga schon immer sichtbar war, ist er nun auch für alle diejenigen nicht mehr wegzudenken, die ihre Arbeit POLIS erlebt haben. Durch einen einfachen visuellen Akt hat sie eine neue Beziehung zwischen der Öffentlichkeit und ihrer Begegnung mit diesem spezifischen Zeichen der Polizei markiert. Wichtiger noch: Ihre Arbeit ermuntert uns alle dazu, allgemein über die gesellschaftliche Akzeptanz von Formen der Macht und Kontrolle in unserer Alltagsumgebung nachzudenken.

NOVEMBER PAYNTER
Director, Artist Pension Trust, Dubai

Übersetzung: Wilhelm Werthern

 


Isabel Schmiga
Polis


Isabel Schmiga
Bandits


Masa Project
Ausstellungsansicht

 

 

 

   
   
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